Fürst Leopold, der Alte Dessauer

Wohl kein anhaltinischer Herrscher wurde zu seiner Zeit und auch später über die Grenzen des Landes hinaus so bekannt wie Fürst Leopold I. von Anhalt-Dessau  -  genannt der "Alte Dessauer". Leopold erblickte am 3. Juli 1676 in Dessau das Licht der Welt. Er war das 9. Kind von Fürst Johann Georg II. und Henriette Katharina, der Tochter des Statthalters der Niederlande, Friedrich Heinrich von Oranien. Da von den Kindern 7 Mädchen waren und der einzige Prinz im 2. Lebensjahr verstorben war, wurde Leopold Erbprinz. Seinen Namen erhielt er von den Eltern nach dem damaligen Kaiser Leopold I., der auch die Patenstelle bei dem Neugeborenen übernommen hatte.
Die Taufe des kleinen Leopold  fand bereits am  6. Juli statt und aus  Dankbarkeit übergab  Fürst Johann Georg II dem die Taufe vollziehenden Superintendenten Raumer 100 Taler für die Stadt- und Schloßkirche. Weiterhin ließ der Fürst in seiner Freude 2 Medaillen schlagen - beide mit der Aufschrift "Tandem" (endlich).
Der Vater des jungen Prinzen war ein hervorragender Soldat und trat, nachdem er zunächst in schwedischen Diensten stand, dann in brandenburgische Dienste und wurde damit Freund und Helfer seines Schwagers, des Großen Kurfürsten. Er stieg ob seiner militärischen Verdienste schnell auf und wurde schließlich zum General- feldmarschall befördert. Leopold erbte damit zwangsläufig die militärische Begabung und das Interesse an allem Soldatischen von seinem Vater.
Seine Mutter, die Oranierin Henriette Katharina, hatte von ihrem Vater Stolz auf das Geschlecht, Tätigkeitsdrang und einen gesunden Egoismus geerbt. Leopold wurde damit  von ihr einen nüchternen und praktischen haushälterischen Sinn, aber auch  kräftigen Egoismus vererbt. 
Die Erziehung Leopolds wurde von seinem Vater sehr gewissenhaft geplant. Die Erzieher seines Sohnes erhielten genaue Instruktionen, welche Unterrichtsfächer    


Kinderbildnis von Leopold

vordergründig zu vermitteln waren. Dazu gehörten Geografie, Französisch und Latein genauso wie Mathematik, Messkunst und Befestigungskunde. Daneben wurde aber auch auf die körperliche Ertüchtigung großer Wert gelegt. Der junge Prinz hatte nicht immer Verständnis für die strenge Erziehung, war öfters faul , fluchte und wetterte. So musste ihn sein Vater ein ums andere Mal ermahnen und ihn zu Fleiß, gutem Betragen und Gottesfurcht anhalten. Erst später hat Leopold den Sinn dieser Erziehung eingesehen und seinem Vater bis zum Lebensende große Dankbarkeit bewiesen.
1688 wurde Leopold gerade zwölfjährig vom Kaiser die Führung des Infanterieregimentes Diepenthal übertragen. Bereits damals entwickelte sich die Vorliebe Leopolds für die Infanterie.
Nach dem relativ frühen Tode seines Vaters trat Leopold mit Einwilligung seiner Mutter, die die Vormundschaft über ihn und damit die Regentschaft über das Land übernommen hatte, eine 14-monatige Reise an. Die Mutter erhoffte sich von dieser Abwesenheit von Dessau auch die Heilung der Leidenschaft Leopolds für seine Jugendliebe, die Apothekerstochter Anna-Luise Föhse, die sie missbilligte. Leopold trat die Reise im November 1693 Inkognito als Graf von Waldersee mit seinem Lateinlehrer Hermann und dem Hofmeister von Chalisac an. Sie führte zuerst nach Venedig, dann zur Osterzeit nach Rom. In Rom, wo der Aufenthalt mehrere Monate dauert, empfängt er viele Gäste bei guter deutscher Hausmannskunst. Er pflegt Sprachstudien, erlernt das Flötenspiel und nimmt Reit- und Fechtstunden. Die Tatsache, dass der Fürst zahlreiche Bücher, Kupferstiche und wertvolle Gläser erwirbt, zeigen sein Interesse an der Kunst. Bei einem Abstecher nach Neapel wird auch der Vesuv bestiegen.
Von Rom geht die Reise über Florenz, Genua nach Turin. Hier lernt Leopold den größten Feldherrn jener Zeit Prinz Eugen von Savoyen kennen, mit dem er 11 Jahre späte eben bei Turin Kriegsruhm erwerben sollte. Auf der Rückreise wird noch einmal in Wien Station gemacht, wo er den Mitgliedern des kaiserlichen Hauses seine Aufwartung macht und sich großer Beliebtheit erfreut. Der Kaiser rühmt in einem Brief an Henriette Katharina seine guten Sitten und Vernunft.
Wieder in die Heimat zurückgekehrt drängt es den jungen Fürsten zu Kriegstaten. Er erhält von Friedrich III. ein Kommando im Felde und dient von 1695 - 1697 in Flandern bei seinem Regiment Diepenthal. 
Die lange Abwesenheit von Dessau hatte den Fürsten seine "Anneliese" entgegen der Hoffnungen seiner Mutter nicht vergessen lassen. Er hegte schon lange den festen Wunsch, die Apothekers- tochter zu heiraten. Deshalb war Leopold auch sehr argwöhnisch und eifersüchtig, was das Umfeld von Anna Luise betraf. So ereignete sich Weihnachten 1697 ein schrecklicher Vorfall. Anna Luise unter- 
Leopold I. Anna Luise
hielt sich vom Fenster ihres Vaterhauses mit einem jungen Mann. Es war der Doktor der Medizin Johann Heinrich Grätz, ein Verwandter der Familie Föse. Als Leopold die beiden im Gespräch sah, eilte er hinzu. Seine wahrscheinlich grimmige Miene, ließ den jungen Grätz die Flucht ergreifen, aber Fehlerhafterweise in das Fösesche Haus. Das war für Leopold, der Beweis, dass es sich um einen Nebenbuhler handelte und er verfolgte ihn durch mehrere Räume, bis er ihn im letzten Zimmer ohne weitern Ausgang stellte und niederstach. Johann Heinrich Grätz wurde am 1. Januar 1698 unter großer Anteilnahme beerdigt. Für Leopold scheint der Vorgang keine weiteren Folgen gehabt zu haben.
Die Mutter Henriette Katharina hatte seit 1683 die Regierung des Landes Anhalt als Vormund geführt. Doch nun war es an der Zeit, Leopold am 13. Mai 1698 in einer feierlichen Huldigung die Regentschaft zu übergeben. Die Feierlichkeiten wurden vom fürstlichen Gesamtrat von Raumer vollzogen.
1698 war aber noch in zweiter Hinsicht ein wichtiges Jahr für Leopold, denn auch gegen den weiterhin bestehenden Widerstand seiner Mutter heiratete er am 15. September 1698 Anna-Luise Föhse. Drei Jahre später erhob Kaiser Leopold die Gemahlin in den Reichsfürstenstand. Damit war der Ehe die "Ebenbürtigkeit" verliehen, was für die Kinder das Erbfolgerecht brachte. Die Ehe war äußerst glücklich, denn Anneliese wusste Leopold gut zu nehmen und seine schroffen Seiten zu mildern. Er war ihr in großer Zärtlichkeit zugetan und nannte sie in seinen Briefen sein liebes "Wiesgen". Den beiden wurde das Glück von 10 Kindern zuteil, 5 Prinzen und 5 Prinzessinnen.
Zu Beginn seiner Regierungszeit verbrachte Leopold die meiste Zeit in Dessau und Halberstadt. Dort war die Garnison seines preußischen Regiments. Mit den kommenden Kriegsjahren war er jedoch häufig außer Landes. Darunter litt jedoch die Fürsorge für Anhalt-Dessau nicht.
In den ersten Jahren begleitete Anna Luise den Fürsten beim italienischen Feldzug mit ins Feld und pflegte ihn, als er 1706 verwundet wurde, höchstpersönlich. Später war sie mit der Erziehung einer großen Kinderschar an Dessau gebunden. Nun führte sie bei Abwesenheit von Leopold die Regierungsgeschäfte in Dessau mit Umsicht und Klugheit. Dadurch wurde auch das Verhältnis zu ihrer Schwiegermutter immer besser. Auch König Friedrich I. von Preußen erkannte sie und ihre Kinder als ebenbürtig an.
Seinen Kriegsruhm erwarb sich Fürst Leopold vor allem im Spanischen Erbfolgekrieg 1701-1714. Dabei wurde ihm auch erstmals der Name "der Dessauer" gegeben. Leopold sah in dem Gleichschritt die wichtigste 
taktische Maßnahme für die damaligen militärischen Aufgaben, nämlich Bewegung und Feuern zu verbinden. Quasi als Oberbefehlshaber der preußischen Armee konnte er dieses Exerzitium für alle Regimenter und Bataillone verbindlich machen. Der Fürst erkannte rasch die sich damals anbahnenden Veränderungen im Kriegswesen. Ausbildung und Ausrüstung der Grenadiere wurden verbessert. So führte er auch den eisernen Ladestock ein, mit dem einschließlich einer gut einexerzierten Waffenbeherrschung ein schnelleres Laden und Schießen möglich war, was bei dem damaligen 

Exerzieren mit dem eisernen Ladestock
Wettstreit um Feuerüberlegenheit zu einem wesentlichen Vorteil wurde. Der Spanische Erbfolgekrieg führte Leopold zu den verschiedensten Kriegsschauplätzen in Süddeutschland und Italien. Dabei untersteht er weit-

Fürst Leopold in der Schlacht von Turin 1706
gehend mit seinen preußischen Truppen dem Prinzen Eugen, dem wohl hervorragernsten Feldherren der damaligen Zeit. Beide hatten voreinander große Hochachtung und ergänzten sich auch hervorragend im Kampfe.
Alle Neuerungen, die Leopold auf militärischem Gebiet insbesondere für die Infanterie einführte, wurden zunächst bei seinem eigenen Regiment "Alt-Anhalt" erprobt. Damit wurde Leopold zum Mitschöpfer des mustergültigen Heerwesens, das die spätere preußische Großmachtstellung begründete. 
Leopold hat unter drei preußischen Königen gedient , mit denen er verwandt war. Er war der Vetter von Friedrich I., der Oheim von Friedrich Wilhelm I. und der Großoheim 
Friedrich II. Über diese drei Herrscher sagte Leopold später einmal: Friedrich I. sei ihm ein Vater, Friedrich Wilhelm I. ein Freund und Friedrich II. ein Herr gewesen.
Vor allem mit Friedrich Wilhelm I. (der Soldatenkönig) verband Leopold eine wirkliche Freundschaft. Das gute Verhältnis wird in ihren Briefwechseln hervorragend dokumentiert. Groß sind auch die Gnadenbeweise des Königs an den Fürsten und seine Söhne. Leopold hängt seinerseits mit seltener Treue an seinem Herrn. Dabei bleibt der König immer Alleinherrscher und Organisator, jedoch ist Leopold an allem, was geschaffen wird, beteiligt. Selbst auf dem Totenbett denkt der König noch an seinen Freund und vermacht ihm sein Leibpferd und zwei wertvolle Pistolen.

Der Alte Dessauer um 1740

Dass das Verhältnis mit Berlin sich nach dem Tod von Friedrich Wilhelm I. 1740  verschlechtern würde, war Leopold bewusst. Er war bei den preußischen Prinzen und Prinzessinnen nicht sonderlich beliebt. Es lag aber auch daran, dass er Friedrich II. von unbedachten Kriegshandlungen abhalten wollte, denn außer seiner Armee war das armselige Preußen dem mächtigen Habsburg weit unterlegen. Der König hielt jedoch an seinem Plan fest, der Habsburger Monarchie Schlesien zu entreißen. Leopold erhielt vorerst Reserveaufgaben. Erst im zweiten schlesischen Krieg konnte Leopold noch einmal mit geschickter Taktik den Sieg gegen die Sachsen bei Kessels- dorf erringen, wenn auch unter großen Verlusten  in seinen Regimentern. Dafür dankte ihm Friedrich II. persönlich, was jedoch die gegenseitige Zuneigung  nicht dauerhaft verbesserte. Später schrieb der König: "Der Fürst gab bei Kesselsdorf glänzende
Beweise seiner Erfahrungen und Geschicklichkeit."
Als Regent und als Persönlichkeit war Leopold im Volke sehr beliebt, da er weniger als Fürst denn als Mensch seinen Untertanen entgegenkam. So machte er schon mal Witze und Streiche, konnte deren aber auch selbst einstecken. Daher schrieb denn auch der Biograph des Fürsten Leopold, Varnhagen von Ense, über den
Fürsten: "Eine Fülle gesunden Menschenverstandes, derben Witzes und kraftvoller Laune zeichnete ihn meist auch in seinen rohesten Handlungen noch aus. Niemals hat ein Fürst im Volke größeren Anteil gehabt und beständiger behalten." Leopold wurde auch nachgesagt, dass er sich manchmal inkognito unters Volk mischte und dann in seinem Land herumstreifte, um so nach dem Rechten zu sehen. Kein geringerer als Karl May, von dem viele nur "Winnetou" kennen, hat später Fürst Leopold ein Denkmal gesetzt, indem er in "Der Alte Dessauer" einige Humoresken über das Leben des Fürsten verfasste. Sicherlich überwiegen in dem Buch Phantasie und  künstlerischen Freiheiten, aber ein Fünkchen Wahrheit mag schon darin stecken, war Karl May zu Recherchen für das Buch doch extra nach Dessau gekommen. Fürst Leopold wurde nachgesagt, dass er ob seiner geringen Musikalität in der Kirche jeden Choral nur nach einer Melodie, der des "Dessauer Marsches", sang, was Karl May auch treffend in seinen Humoresken mit verarbeitete. Der Dessauer Marsch
stammt aus Italien. Er wurde bei der Siegesfeier für die Schlacht bei Cassano am 16. August 1705 gespielt. Nach der Erstürmung von Turin zog der Fürst unter den Klängen des Marsches am 7. September 1706 in die Stadt ein. Der Marsch gefiel Leopold so gut, so dass er ihn zu seinem Lieblingsmarsch erkor. Deshalb wurde er dann auch Dessauer Marsch genannt. 
                ( hier kann der "Dessauer Marsch" 30 Sekunden als WAV - File 483 KB heruntergeladen werden )
Gegenüber dem Vorurteil, Fürst Leopold sei nur an militärischen Dingen interessiert, stehen viele seiner Anstrengungen, die wirtschaftlichen Möglichkeiten seines Landes zu verbessern. Durch von ihm veranlasste Melioration und Dammbauten wurde die Ertragsfähigkeit der Ländereien wesentlich erhöht. Der Bau des Kapengrabens legte die morastige Umgebung von Oranienbaum trocken, in der Naundorfer Feldmark wurde der Elbdeich errichtet und 1736 bei Roßlau eine feste Brücke über die Elbe gebaut. Die erzielten wirtschaftlichen Mehreinnahmen wurden wiederum fortschrittsfördernd eingesetzt und nicht wie an an anderen europäischen Höfen verprasst. 
Im Februar 1745 ereilte Leopold die Nachricht vom Tod seiner Frau. Er  reiste kurzzeitig zurück, ehe er seine letzten Schlachten für Preußen schlug. Danach kehrte er wieder nach Dessau, wo er noch einen Auftrag des Königs erfüllte: das Niederschreiben der Geschichte der preußischen Armee. Am 15. März 1747 wurde dieses Werk nach Berlin übersandt.
In den Morgenstunden des 9. April 1747 verstarb Leopold, nachdem ihn bereits am 7. April ein Nervenschlag des Bewusstseins raubte.

Bei den Anhaltinern, aber speziell bei den Dessauern bleibt der Alte Dessauer immer in Erinnerung - nicht zuletzt auch wegen des Denkmals, dass sie ihm gesetzt haben. In unsäglichen Sozialismuszeiten "abgeschoben" steht es heute wieder an seinem angestammten Ort auf dem Schlossplatz neben der Marienkirche. Und auch akustisch wird man an Fürst Leopold erinnert - spielt doch die Spieluhr der Rathausuhr in Dessau zu vollen Stunden den Lieblingsmarsch des Alten Dessauers: "So leben wir, so leben wir, so leben wir alle Tage ..."

Leopold   Fürst zu Anhalt
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